Die Geheimnisse der Chefs - Märchen von der Offenheit

der Chefs
Leseprobe II aus „Die Geheimnisse der Chefs“, Martin Wehrle, Hoffmann und Campe, 2004.
Vorstellungsgespräch
Als Chef predige ich Ihnen „absolute Offenheit“.
Zu Beginn eines Vorstellungsgespräches sage ich:
„Es ist mir am liebsten, wenn Sie ganz direkt
sind. Sie wollen doch sehen, ob Sie zum Unternehmen
passen. Und ich will das Gleiche. Wir können also
mit offenen Karten spielen.“
Klingt logisch, nicht wahr? Die schönen Worte
haben nur einen Haken: Wie offen und ehrlich bin ich
zu Ihnen? Frage ich gerade heraus, ob Sie Ärger
mit Ihrem letzten Chef hatten? Natürlich nicht.
Ich schleiche mich von hinten an, indem ich mich erkundige,
was Sie „anstelle Ihres letzten Vorgesetzten anders
gemacht“ hätten. Frage ich Sie direkt nach
Ihren Schwächen? Natürlich nicht. Ich erkundige
mich listig, in welchen Bereichen Sie sich „noch
entwickeln“ wollen. Verziehe ich eine Miene, wenn
Sie dabei sind, sich um Kopf und Kragen zu reden? Natürlich
nicht. Ich ermutige Sie durch freundliches Kopfnicken,
ruhig weiter über Ihre alten Kollegen zu lästern.
Während Sie mir reinen Wein einschenken sollen,
trage ich mein Herz nicht gerade auf der Zunge. Und
wie eine Begegnung endet, bei der einer mit offenen
Karten spielt, der andere jedoch sein Blatt verbirgt,
können Sie sich lebhaft vorstellen.
Zumal ich mich auch bei negativen Fakten über
das Unternehmen und den Arbeitsplatz bedeckt halte.
Kein Wort über den Pleitegeier, der vielleicht
schon überm Firmendach kreist. Oder über eine
dünne Personaldecke, die Sie zu Überstunden
zwingen wird. Stattdessen zeige ich Ihnen alles im besten
Licht.
Warum machen Sie’s nicht genauso?
Antworten Sie offen, wo es Ihrem Vorteil dient –
und taktisch, wo ein Übermaß an Ehrlichkeit
schadet.
Sogar der Gesetzgeber räumt Ihnen das Recht ein,
gewisse Fragen durch Schwindeleien zu kontern. Wohlgemerkt:
Sie haben nicht nur das Recht, die Antwort zu verweigern
– Sie dürfen lügen. Zum Beispiel, wenn
ich Sie nach Ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft
oder Partei befrage, nach Ihren Heiratsplänen oder
– in vielen Fällen – auch bei der Frage
nach Ihrem alten Gehalt.
Und warum das Recht zur Lüge? Weil der Gesetzgeber
weiß, wo ein schädliches Übermaß
an Offenheit anfängt: beim Schweigen. Wie gefährlich
können dann erst „offene Worte“ sein!
Als geschickter Bewerber werden Sie im Vorstellungsgespräch
aber keine Maskerade betreiben. Ein solches Spiel lässt
sich im Alltag nicht durchhalten! Besser gehen Sie wie
beim Schminken vor: Sie betonen Ihre schönsten
Züge. Und Sie verdecken die weniger vorteilhaften.
So werden Sie im grellen Scheinwerfer meiner Fragen
Ihr Gesicht als Top-Bewerber bewahren.
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